Das Eigene Bild

In diesem Jahr definiert die Thematik des eigenen Bildes den Schwerpunkt von FOTOKUNSTBREMEN.

Keine andere traditionelle Gattung der bildenden Kunst erfreut sich heute einer solchen Beliebtheit und Aktualität wie das Selbstporträt. Einer Gattung, die sich im Laufe ihrer Geschichte beachtlich verändert hat: vom versteckten Porträt in größeren Darstellungszusammenhängen bis hin zur Selbstrepräsentation als Bekenntnis, Symbol oder Befragung. Die Erfindung der Fotografie vor nahezu 180 Jahren spielte in diesem Transformationsprozess eine zentrale Rolle. Sie ermöglichte eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild durch mechanische Abbildungsverfahren, was zu noch nie gekannten Gesellschafsphänomenen führte. Die rasante technische Entwicklung der Fotografie, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Entwicklung digitaler Technologien profitierte, machte plötzlich möglich, dass jede Person sich selbst fotografieren konnte und die sozialen Netzwerke, die im Kontext digitaler Kommunikationstechnologien entstanden, boten eine Plattform für deren Aufnahmen: Das Selfie entstand.
Mit dem millionenfach im Netz geteilten Selfie entsteht eine Ordnung visueller Kommunikation, die über Kultur-, Sprach- und Landesbarrieren hinaus zur Weltsprache zu werden scheint. Eine Ordnung, die zugleich die herkömmliche Dualität Künstler-Abbild aufzulösen scheint, insofern das eigene Bild keinen Künstler mehr voraussetzt: Jeder Mensch, unabhängig von Beruf, Geschlecht und Bildungsstand kann sein eigenes Bild generieren, reproduzieren, mit der Öffentlichkeit teilen. Was ist aber die Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild? Was bedeutet es, ein Bild von sich zu erschaffen? Was ist mit der Nicht-Darstellbarkeit des eigenen Wesens? Was ist mit der Identität, die man für sich reklamiert oder nicht und in Form eines Bildes verdinglicht? Ist überhaupt von einer Identität auszugehen, wenn man das eigene Bild festhält? Und was ist mit dem Blick, der das eigene Bild konstruiert?

Dass die Beschäftigung mit dem eigenen Bild eine tief gehende Bedeutung für Kunst und Gesellschaft haben kann, haben bereits namhafte Positionen der Gegenwartskunst gezeigt. Paradebeispiele hierfür sind Künstler wie Cindy Sherman und Robert Mapplethorpe, die auf ganz unterschiedliche, fast sogar gegenteilige Art und Weise das eigene Bild thematisieren. Mittels fotografischer Selbstporträts gelingt es Cindy Sherman, eine Befragung der Kultur durchzuführen. Indem sich die Künstlerin in verschiedenen Rollen inszeniert, die sie durch Perücken, Schminken und unterschiedliche Kleider zu erkennen gibt, hinterfragt sie richtungsgebende Begriffe von Kunst und Gesellschaft wie Autorschaft, Originalität, Identität, Geschlecht. Ihre Aneignungen von Rollen und Menschenbildern vermögen sowohl die Brüchigkeit der Individualität als auch die Problematik der Repräsentation offenzulegen. Robert Mapplethorpe seinerseits bricht mit manchen seiner Selbstbildnisse die Grenzen zwischen der traditionellen Ästhetik der Hochkultur und den Vorrechten einer sich selbst definierenden Subkultur, für die er selber stand.

Das eigene Bild kann aber auch aus anderen Blickwinkeln verstanden werden. Es bedeutet zum einen das Bild, das man als Subjekt erschafft. Das heißt, die subjektgesteuerte Angelegenheit, als Individuum die äußere Realität mittels vorhandener Abbildungsverfahren zu fragmentieren und sie in Form eines in sich geschlossenen Objektes, eines Bildes, festzuhalten. Eine Praxis, mit der die Vergänglichkeit von Mensch und Welt zusammenhängt, insofern die Welt, die eingefangen wird, immer eine Vergangene ist, die gerade durch die Mitwirkung des Subjektes, das sie fixiert, zugänglich gemacht wird. So geht diese in Form eines Bildes fixierte Welt aus der ganzen Subjektivität eines geschichtlichen Menschen hervor und erhebt damit den Anspruch, dessen Bild zu sein. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, ist das eigene Bild das, was jeden Menschen als Person in der Gesellschaft bildlich identifiziert. Das heißt, das Bild, das die eigene Person darstellt und über das man rechtlich im Sinne des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes verfügt. In diesem Sinne gehört das eigene Bild zum Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit, wonach jeder Mensch grundsätzlich über die ihn abbildenden Bilder bestimmen darf.

Die Möglichkeiten, die das eigene Bild bereitstellt, erweisen sich als unerschöpflich. Sie reichen vom unmittelbaren Einfangen des Vergänglichen bis hin zur eindringlichsten Befragung des Menschendaseins in all seiner erdenklichen Tiefe. Dabei spielen der Fokus des Urhebers und sein Kontext eine gewichtige Rolle, denn sie können das eigene Bild genauso intim und privat wie sozial, politisch, historisch und philosophisch erscheinen lassen.